Alle Menschen
sind fähig, über
800 Grad heisse
Glut zu gehen!

Feuerlaufen - Erfahrungsbericht

Ich habe es gewagt! Zwar kostete es mich grosse Überwindung, bis der Entschluss reifte, mich zum Feuerlaufen anzumelden. Sagen wir es ehrlich: es brauchte einen gewaltigen Tiefschlag im Privatleben und das Wissen, so kann es nicht weitergehen. Irgend etwas muss in meinem Leben geschehen, irgend ein Signal des Himmels will ich haben, irgend ein Ereignis muss die Wende zum Besseren einleiten. Als ich dann eine Feuerläuferin kennen lerne, wächst in meiner Verzweiflung die Idee, es einmal damit zu versuchen. Schlimmer als jetzt kann es ja nicht kommen.

Und so kommt alles wie es kommen muss. Mit 20 anderen Menschen finde ich mich eines Tages in einem Haus auf dem Lande in der Ostschweiz ein. Einige junge Leute sind da, etwa gleich viele Männer wie Frauen. Wir sitzen im Kreis am Boden. Neugierig sehe ich in die Runde: Sind das jetzt Menschen mit übersinnlichen Fähigkeiten? So sehen sie gar nicht aus. Durchschnittlich normal, wie ich auch – und keineswegs erleuchtet. Etwas beklemmend wird das Gefühl schon, als die Feuerlauf-Leiterin verkündet, dass die Glut am Anfang des Feuerlaufes zirka 800 Grad Celsius heiss sei, über die wir gehen würden. Und das soll möglich sein? Um Gottes Willen – wo bin ich da hingeraten. Zu spät zum Weggehen, der Heimweg aus der Ostschweiz wäre zu weit.

Draussen, auf freiem Feld, schichten wir ein Ster Holz zum hohen Scheiterhaufen auf. Als wir es anzünden, wird eine eigentliche Zeremonie daraus. „I open my hands – to the light that God sends. I open my heart – to the love that you are” (ich öffne meine Hände zum Licht, das von Gott kommt – ich öffne mein Herz der Liebe, die du bist) singen wir im Kreis einander zu. Bald brennt der Scheiterhaufen lichterloh, und eine gewaltige Kraft geht von ihm aus. Dankbar folgen wir der Aufforderung, zur Vorbereitung noch einmal ins Haus zu gehen, bevor wir in zwei Stunden über die Glut gehen werden.

Niemand muss über das Feuer gehen – eine Stimme in deinem Inneren wird dir sagen, wann für dich der Moment gekommen ist, erklärt die Feuerlauf-Leiterin. Je mehr die Uhr fortschreitet, desto mulmiger wird mir zu Mute. Nacheinander soll jeder und jede im Kreis aufstehen und etwas über seine Angst im Allgemeinen sagen. Jetzt werde ich doch leicht sauer - das geht mir zu weit. Meine Angst gehört mir ganz allein, ist Teil meiner Intimsphäre und geht eigentlich niemanden etwas an. Nur zögerlich kommt die Angstrunde in Gang. Jemand hat vor dem Versagen Angst, jemand vor Verlassenwerden, jemand vor Krankheit und Tod. Je mehr sie sich ausdrücken, meine Mitgefährtinnen und Mitgefährten, desto mehr erkenne ich, wie alle Ängste im Grunde sich gleichen. Nach der Hälfte der Runde spüre ich, wie allmählich mein Herz aufgeht. Eine Welle von Mitgefühl kommt hoch für alle, die da mit mir im gleichen Kreis sitzen. Wir haben ja alle die gleiche Angst! Eigentlich logisch, fällt es mir ein, alle sind wir ja auch aus dem gleichen Stoff gemacht. Wer weiss, ob wir nicht im Grunde unseres Herzens überhaupt alle gleich sind. Zum ersten Mal halte ich es plötzlich für nicht mehr für schlichtweg unmöglich, dass wir in einigen Minuten zusammen über das Feuer gehen werden.

22 Uhr! Wir stehen draussen, die Glut wird mit dem Rechen zum Glutteppich geformt. Unmenschlich heiss ist es, so direkt an diesem Haufen von Glut zu stehen. Doch die Feuerlauf-Leiterin besteht darauf: jede und jeder soll es wenigstens einmal versuchen, den Rechen in die Hand zu nehmen. Als ich dran bin, fasse ich den klaren Entschluss, nicht über das Feuer zugehen. Das ist nun definitiv zu heiss. Wie konnte ich nur so dumm sein, mich freiwillig für diesen Albtraum anzumelden!

Ein Blick zum Himmel, ein Anrufen aller unsichtbaren, uns wohlgesinnten Wesenheiten zwischen Himmel und Erde, uns beizustehen - dann ist es soweit. Die ersten ziehen ihre Schuhe aus. Es ertönt der Ruf: „Das Feuer ist frei!“ Jetzt bin ich gespannt. Einige Sekunden vergehen, dann steht die erste Person entschlossen vor der Glut. Wird sie es wirklich wagen? Wird sie darüber gehen? Sie geht – ich traue meinen Augen kaum: barfüssig und langsam schreitet sie über die noch weitgehend rote Glut. Ein Jubelschrei – die Füsse sind offenbar nicht verbrannt. Und jetzt kommt der Feuerlauf immer mehr in Schwung. Einer nach dem anderen geht über das Feuer. Was heisst gehen? Die Menschen tanzen auf dem Feuer, einzeln oder mehrere zusammen, ein wahrer Geist der Ekstase hat die Menschen um das Feuer ergriffen.

Was ist nur mit mir los? Mein Kopf sagt Nein. Du hast den Entschluss gefasst, nicht zu gehen. Mach keine Mutprobe, das kannst du nicht. Meine Füsse zucken, wie wenn sie mir sagen wollen: zieh wenigstens die Schuhe aus. Zögernd folge ich ihrer Stimme. Wie es passiert ist, kann ich nicht genau sagen – aber jetzt stehe ich plötzlich vor dem Feuer. Ein letztes Aufbäumen des Kopfes – halt, du bist wahnsinnig! – doch dann haben die Füsse endgültig die Führung übernommen. Aus tiefster Seele bete ich zu allen guten Geistern, und – oh Wunder – das Feuer unter den Füssen fühlt sich als starke Energie zwar, aber angenehm kühl an. Jauchzen – so einfach ist Feuerlaufen, gleich will ich ein zweites Mal darüber gehen. Eigenartigerweise ist das Feuer beim zweiten Mal ungemütlich heiss. Blitzartig habe ich meine erste Lektion als Feuerläuferin gelernt: Das Feuer ist tatsächlich heiss – es fühlt sich nur kühl an, wenn ich ihm mit voller Präsenz begegne. (Statt meine Gedanken im Hier und Jetzt zu haben, hing ich beim zweiten Lauf noch immer der Begeisterung des ersten Laufes nach.)

Zwei Stunden gehen wir über das Feuer, nach dem 15. Mal höre ich auf zu zählen. Wir schliessen mit dem Dank an den Himmel, die Sterne, die Erde, das Feuer, die Bäume, die das Holz gegeben haben. Das ganze Universum hat zusammengewirkt, um uns das gewaltige Glücksgefühl dieses Abends zu bescheren. Was kommt zuerst: Die Dankbarkeit oder Gott? Die Dankbarkeit –sie führt zu Gott. Ergriffen knien wir am Boden. Zusammen haben wir zwanzig Menschen unsere Existenz gefeiert, und wir sind uns recht nahe gekommen in diesen Stunden.

Im Hause geht die Feier mit Speis und Trank bis 2 Uhr in der Nacht weiter. Meine Socken will ich nicht ausziehen, wie ich um 3 Uhr mich ins Bett lege. Zwar wäre es naheliegend, die verrussten schwarzen Füsse zu waschen, doch das feurig-lebendige Gefühl in den Füssen möchte ich mir erhalten. Es genügt, die Füsse morgen dem Wasser auszusetzen.

Das Feuerlaufen hat den engen Horizont meiner bisherigen Erfahrung gesprengt und mein Weltbild um eine tiefe spirituelle Dimension bereichert. Drei Monate später, an meinem zweiten Feuerlauf, jucken meine Füsse so sehr, dass ich als erste über den Feuerteppich laufe. Längst ist das Geschichte. In der Zwischenzeit bin ich Feuerlauf-Leiterin geworden und habe Hunderte von Menschen über das Feuer geführt.

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© Schweizer Feuerlauf-Team